Wer durch die Altstadt von Salzburg schlendert, ahnt kaum, dass sich unter den Füßen ein Netz aus Gängen, Stollen und verborgenen Räumen befinden könnte, die seit Jahrhunderten die Fantasie beflügeln. Besonders um den Petersfriedhof rankt sich ein hartnäckiges Gerücht: dass die Katakomben, die in den Mönchsberg geschlagen sind, einst nicht nur als Begräbnis- und Gebetsstätten dienten, sondern Teil eines geheimen Tunnelsystems waren, das den Geistlichen als Fluchtweg diente.
Der Petersfriedhof selbst ist einer der ältesten Friedhöfe Salzburgs, ein Ort von stiller Schönheit, eingerahmt von Arkadengängen und mit kunstvoll geschmiedeten Grabkreuzen. Am Fuß des Mönchsbergs gelegen, strahlt er eine Ruhe aus, die man mitten in der Stadt nicht vermutet. Doch über die steilen Treppen am Ende des Friedhofs gelangt man in eine andere Welt: die Katakomben.
Schon beim Betreten umfängt einen eine kühle, feuchte Luft. Die Felsenräume, teilweise aus der Römerzeit, liegen im Dunkel, nur spärlich erleuchtet. Man sieht kleine Nischen, in denen Mönche beteten, und Kammern, die einst als Rückzugsorte dienten. Doch es ist nicht allein ihre historische Funktion, die die Menschen fasziniert – es ist das, was man nicht sieht.
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Seit Jahrhunderten wird erzählt, dass die Katakomben weit mehr sind, als man heute besichtigen kann. Dass sie nicht abrupt enden, sondern weiterführen, tief in den Mönchsberg hinein, vielleicht sogar bis zur Festung Hohensalzburg oder zu den Klöstern auf der anderen Seite der Stadt. Manche sagen, es habe geheime Türen gegeben, die nur die Eingeweihten kannten, um im Falle von Gefahr – Belagerung, Krieg oder Verfolgung – aus der Stadt zu entkommen.
Solche Geschichten sind nicht ungewöhnlich in alten Städten, und sie machen ihren besonderen Reiz aus. Sie öffnen ein Fenster in eine Zeit, in der die Menschen ständig mit der Unsicherheit lebten, dass Feinde vor den Toren stehen könnten. In Salzburg, einer Stadt, die mehrfach belagert und bedroht wurde, ist es nur logisch, dass man Fluchtwege plante. Ob diese tatsächlich existierten oder nur der Fantasie entsprangen, ist bis heute nicht vollständig geklärt.
Manche Historiker verweisen darauf, dass der Mönchsberg tatsächlich durchzogen ist von Stollen und Gängen, die zum Teil aus dem Mittelalter stammen. Einige wurden für den Abbau von Gestein genutzt, andere für militärische Zwecke. Dass es Verbindungen gab, die im Notfall benutzt werden konnten, ist also nicht ausgeschlossen. Doch konkrete Beweise für einen direkten Fluchtweg vom Petersfriedhof zur Festung gibt es bislang nicht – was den Mythos nur umso stärker macht.
Wer heute die Katakomben besucht, spürt sofort diese Mischung aus Geschichte und Geheimnis. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie Mönche hier vor Jahrhunderten durch die dunklen Gänge eilten, Fackeln in den Händen, vielleicht auf der Flucht vor plündernden Söldnern. Man hört das eigene Echo, spürt die Kühle des Felsens, und das Herz schlägt schneller, weil man ahnt: Hier sind schon viele Menschen gegangen, in Angst, in Hoffnung, in Gebet.
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Der Petersfriedhof und die Katakomben sind deshalb weit mehr als eine Sehenswürdigkeit. Sie sind ein Tor in die Vergangenheit. Sie erzählen von einer Stadt, die nicht nur prachtvolle Barockkirchen baute, sondern auch Schutzräume, Verstecke, Orte der Zuflucht. Für Besucher ist es eine Gelegenheit, Salzburg von einer anderen Seite kennenzulernen – nicht nur als Stadt der Musik und der Feste, sondern auch als Stadt, die sich immer wieder behaupten musste.
Auch Einheimische finden hier einen besonderen Ort. Viele Salzburger kommen nicht nur, um die Gräber berühmter Persönlichkeiten zu besuchen, sondern um die besondere Stimmung auf sich wirken zu lassen. In den Katakomben hat man das Gefühl, dass die Zeit stillsteht. Draußen rauschen die Touristen durch die Getreidegasse, doch hier unten ist alles langsamer, leiser, geheimnisvoller.
Vielleicht ist es genau dieses Spannungsfeld zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, das die Katakomben so faszinierend macht. Sie geben nicht alle ihre Geheimnisse preis. Sie lassen Raum für Fantasie, für die Vorstellung von geheimen Wegen, von heimlichen Treffen, von dramatischen Fluchten. Und genau das macht sie zu einem einzigartigen Erlebnis.
Wer Salzburg besucht, sollte sich diesen Ort nicht entgehen lassen. Nicht nur, weil er schön ist, sondern weil er Fragen stellt. Wer ging hier einst? Wo führten die Gänge hin? Welche Geschichten haben sich hier abgespielt? Und könnte es sein, dass unter der Stadt noch immer Wege existieren, die niemand kennt?
Man verlässt die Katakomben meist mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Ehrfurcht und Abenteuerlust liegt. Man tritt hinaus auf den hellen Friedhof, sieht die Stadt im Sonnenlicht, hört das Läuten der Kirchenglocken – und denkt daran, dass unter diesem friedlichen Bild ein verborgenes Netz aus Stein liegt, das vielleicht noch lange nicht vollständig erforscht ist.
Die Katakomben von Salzburg sind damit nicht nur ein Denkmal, sondern eine Einladung: zum Staunen, zum Forschen, zum Nachdenken über eine Zeit, in der Sicherheit nicht selbstverständlich war. Und vielleicht auch dazu, den nächsten Spaziergang durch die Altstadt mit neuen Augen zu sehen – denn wer weiß, welche Geheimnisse sich unter den eigenen Schritten verbergen.
